Grete Beier - Tatort Henriettenstraße
 

Um es gleich vorweg zu nehmen .......der Tatort ist nicht mit dem heute dort befindlichen Gebäude identisch. Dies beherbergt  die Kindertagesstätte „Pusteblume“.

 

 

 Bis zum Bombardement am 5. März 1945 stand an dieser  Stelle ein ähnliches prächtiges Haus wie das erhaltene Eckhaus Nr. 23, in dem sich heute eine Fahrschule befindet.

 Kehren wir nun zur Nummer 21 zurück. In bestimmten Situationen spricht man vom „Hauch der Geschichte“. Die Pusteblume kommt da gerade recht.......sie soll uns in das Jahr 1907 entführen................... In Deutschland regierte Kaiser Wilhelm II. Das Königreich Sachsen  repräsentierte  Friedrich August III. Zur Amtshauptmannschaft Freiberg gehörte die Stadt Brand. 1912 wurde sie mit Erbisdorf zwangsvereinigt.

Der Brander Bürgermeister Ernst Theodor Beier hatte eine Tochter namens Marie Margarete. Man nannte sie aber meist Grete. Die 22-jährige hübsche Frau war kein Kind von Traurigkeit bezüglich Männerbekanntschaften. Vor allem war die von den Eltern erwartete „gute und standesgemäße Partie“ bisher nicht dabei.

 

 

 Bei einem Faschingsball in Chemnitz lernte sie den Oberingenieur Kurt Preßler kennen. Dieser war Beamter beim Sächsischen Dampfkesselrevisionsverein (heute TÜV) , akademisch gebildet, mit gutem Einkommen und verfügte bereits über ein beachtliches Vermögen.
 

Der wesentlich Ältere mit Bauchansatz und lichtem Haar war für Gretes Eltern  offenbar der ideale „Schwiegersohn in spe“ und sie drängten ihre Tochter zu dieser Verbindung. Grete war von Preßlers Persönlichkeit nicht sonderlich angetan , allerdings rückte sein Vermögen in den Fokus ihres Interesses. Formell hatte sie sich mit Preßler verlobt, das Verhältnis blieb stets kühl. Wegen seiner herrischen  Art  kam es recht bald zu Streit.

 Zugetan war sie ihrem Dauer-Geliebten Merker im heimatlichen Brand. Gedanklich war sie aber bereits mit einem unheilvollen Plan beschäftigt. Nachdem sie sich ihre „Ausrüstung“ im Freiberger Raum beschafft hatte, konnte das Verhängnis seinen Lauf nehmen.......................Der 13. Mai 1907, ein Montag,.war warm und sonnig. Pünktlich um 12 Uhr 21 verläßt der Zug die Kleinstadt Brand in Richtung Freiberg. Unter den Fahrgästen befindet sich auch Grete Beier. In Freiberg muß sie umsteigen und erreicht die Stadt Chemnitz kurz vor 15 Uhr. Während der Bahnfahrt überprüfte sie nochmals gedanklich ihr „Equipment“. Der geladene Revolver, das Zyankali sowie  selbst verfasste Briefe und Testament  befanden sich in ihrer Handtasche. Preßler empfing sie auf dem Bahnsteig und ahnte nicht einmal ansatzweise daß er den Sonnenuntergang nicht mehr erleben würde. Zu Fuß gelangten beide durch Königstraße und Theaterstraße zur Kaßbergauffahrt. Nachdem man diese erklommen hatte erreichte man via Hohe Straße die Henriettenstraße. An der Nummer 21 angekommen mussten sie in den 2. Stock hinaufsteigen. Hier wohnte der Elektroingenieur Preßler. Durch das Attribut „Ober“ im Ingenieurtitel  erfuhr er bereits Reputation. Bei der gemeinsamen Vorbereitungen zum Kaffeetrinken in der Küche stellte sich  heraus daß die Sahne fehlte. Preßler begab sich auf den Weg um diese im Milchgeschäft an der Ecke zu besorgen. Vermutlich handelte es sich hier um die Hausnummer 23, heute befindet sich in den Räumlichkeiten eine Fahrschule. Grete setze inzwischen Kaffeewasser auf und deckte im Wohnzimmer den Tisch. Ihre Gedanken kreisten um das Zyankali und wie man es möglichst perfekt „unterbringen“ konnte. Der Kaffee war in der engeren Wahl, wurde dann aber von ihr wieder verworfen. Inzwischen war Preßler zurück und betrat mit dem gefüllten Sahnegießer das Wohnzimmer. Man plauderte über mögliche Hochzeitstermine  und  die Hochzeitsreise. Preßler  kannte Italien recht gut und schwärmte von Mailand. Der Aufforderung ein Gläschen Eierkognak mit ihm zu trinken kam Grete nicht nach. Da er aber darauf bestand und  kurzfristig das Klosett aufsuchen mußte war der Zeitpunkt  ideal.......sie öffnete die Flasche und ließ die dicke gelbe Flüssigkeit ins Glas rinnen. Anschließend rührte sie die beiden Zyankalistückchen mittels Kaffeelöffel unter das Getränk. Preßler nimmt auf dem Sofa Platz, immer noch in Mailänder Erinnerungen schwelgend. Eine Ironie des Schicksals, er berichtet vom Besuch der Oper La Traviata, während  Grete ihm den Eierkognak kredenzt.  Der Genuss dieses Getränks war für Kurt Preßler bereits tödlich. Grete Beier war sich unschlüssig ob er noch lebte. Um ganz sicher zu gehen schoss sie ihn mit dem Revolver zweimal in den Mund. Danach verließ sie unverzüglich die Wohnung  und  fuhr nach Freiberg zurück  und traf gegen 19 Uhr bei Familie Gersten ein. Ihre Mutter setze sie telefonisch in Kenntnis, daß sie erst mit dem letzen Zug nach Brand zurück komme. Am Dienstag, 14. Mai 1907  1 Stunde nach  Mittag wurde Preßlers Leiche durch seine Putzfrau entdeckt. Die Mühlen von Polizei und Justiz begannen zu mahlen. Grete Beier wurde im Juni wegen illegaler Abtreibung verhaftet. Später konnte man ihr neben anderen Delikten auch den Mord an Kurt Preßler nachweisen. Sie gab dies ohne emotionale Regung zu. Nach einem spektakulärem Prozess vor dem Freiberger Landgericht  wurde sie zum Tode verurteilt. Nachdem ein Gnadengesuch vom sächsischen König abgelehnt wurde erfolgte die Vollstreckung mittels Guillotine am 23. Juli 1908 im Hof des Landgerichts in Freiberg. Die Deliquentin hatte das 23. Lebensjahr noch nicht vollendet und war die letzte Frau, die im Königreich Sachsen öffentlich hingerichtet wurde. Sie fand ihre letzte Ruhe im Familiengrab auf dem Dresdner Johannisfriedhof.

 Wer sich detaillierter über das Schicksal der Grete Beier informieren möchte, dem sei die literarische Bearbeitung durch Günter Spranger empfohlen. Das Buch heißt „Das Lügenspiel“, 1980 erstmals im Greifenverlag Rudolstadt erschienen und im Jahre 2004 im Chemnitzer Verlag mochmals aufgelegt. Auch gibt es ein Theaterstück von Katrin Lange „Ich, Grete Beier, Mörderin“. Die Uraufführung fand am 22. August 2008 in einer Inszenierung des Mittelsächsischen Theaters in Freiberg statt. Der MDR behandelte den Fall am 7. Januar 2008 in der Fernsehdokumentationsreihe „Spur der Ahnen“. Übrigens.......der spätere Profi-Autor Günter Spranger war von 1946-1968  Lehrer für Latein und Griechisch  am  heutigen Schmidt-Rottluff-Gymnasium (vormals  EOS „Friedrich Engels“) an der Hohen Straße (Dr. Richard-Sorge-Straße) unweit vom Ort des Geschehens entfernt.

Christian Kaißer

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